An der Schule des Vaters
von Christian Haumer
Am Montag dem 11. März versammelten sich die Schüler der neunten Klassen gespannt in der Aula des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums. Der Grund dafür war der Besuch der Zeitzeugin Eva Weyl, die aus ihrer Kindheit im Durchgangslager Westerbork erzählte. Der Vortrag bettete sich in eine lokalhistorisch geprägte Unterrichtsreihe zum Nationalsozialismus ein. Auch für Frau Weyl war dies ein besonderer Termin, da ihre Familie aus Kleve stammt und ihr Vater sogar Schüler des Gymnasiums war.
In ihrem Vortrag skizzierte sie nicht nur ihre Familiengeschichte, sondern gab einen lebendigen Einblick in die Situation eines Kindes in einem nationalsozialistischen Durchgangslager. Ursprünglich gehörte ihrer Familie das große Kaufhaus Weyl in Kleve, das an der Stelle der heutigen Galeria Kaufhof stand. Bereits kurz nach der Machtübergabe an Hitler flohen ihre Eltern nach Arnheim, wo Frau Weyl das Licht der Welt erblickte. Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande wurden die Juden nach und nach registriert und deportiert. Im Jahr 1942 wurde auch Familie Weyl mit der damals sechsjährigen Eva aufgefordert, sich im Durchgangslager Westerbork einzufinden. Westerbork war im Gegensatz zu den Arbeits- oder Vernichtungslagern im Osten nicht durch offene Grausamkeiten geprägt. Von hier gingen aber die Züge nach Auschwitz, Sobibor, Bergen-Belsen und Theresienstadt.
Der Alltag im Lager sollte so normal wie möglich verlaufen. Der „schöne Schein“ sollte gewahrt bleiben. Darum gab es dort nicht nur ein großes Krankenhaus, sondern auch Werkstätten, ein kleines Geschäft und sogar ein Unterhaltungsprogramm. Die kleine Eva ging dort auch ganz normal zur Schule, während ihr Vater eine Anstellung in der Lagerverwaltung hatte. Dieser Posten rettete der Familie mit viel Glück mehrfach das Leben.
Im Anschluss an den Vortrag von Frau Weyl konnten die Schüler ihre zahlreichen Fragen an die Holocaustüberlebende richten. Dabei interessierte sie insbesondere der Alltag im Lager: Was hat man als Schüler nachmittags gemacht? Musste man Hunger leiden? Was war ihr schlimmstes Erlebnis? Gab es auch jüdische Gottesdienste?
Schließlich erklärte Frau Weyl noch einmal den Grund ihres Vortrags. Gerade an der Schule ihres Vaters sei es ihr wichtig, dass die Schüler von den Verbrechen der Vergangenheit erfahren, damit so etwas nie wieder passiere. Außerdem appellierte sie an die Schüler tolerant gegenüber Mitmenschen zu sein und auch mit den eigenen Großeltern einmal über die Zeit zu sprechen, so lange es die Gelegenheit noch gebe.
Ein Teil der Schüler hatte die Zeitzeugin bereits am 9. November letzten Jahres kennengelernt. Sie hatten nämlich das Gedenken am Platz der ehemaligen Synagoge in Kleve aktiv mitgestaltet, zu dem auch Frau Weyl als Rednerin geladen war. So konnten einige Schüler auch Fotos vom Gedenktag an die Reichspogromnacht mitnehmen, die Frau Weyl mitgebracht hatte.