das moderne Gymnasium mit Tradition
 

Das „Erziehungswissenschaftliche Praktikum“

von Kurt Stynen.

Das „Erziehungswissenschaftliche Praktikum“, kurz „Pädapraktikum“, wird in der Jahrgangsstufe Q1 am Freiherr-vom-Stein Gymnasium durchgeführt.

Entstehung, Begründung und Durchführung

Was als „Kindergartenpraktikum“ 1988 an unserer Schule als einem der ganz wenigen Gymnasien im Bezirk Düsseldorf begann und unter den kritischen Blicken der Hüter des traditionellen Gymnasiums als Ort der geistigen, bewusst praxisfernen Bildung  toleriert wurde, ist inzwischen eine fest installierte Einrichtung in der Oberstufe unserer Schule und hat in der Region inzwischen eifrige Nachahmer gefunden. Das „Pädapraktikum“ hat sicherlich auch die Jahre später erfolgte Einführung eines allgemeinen Berufspraktikums in der Jahrgangsstufe EP begünstigt, ebenfalls eine Maßnahme, deren Sinn von niemanden mehr ernsthaft bezweifelt wird.

Damit bereitete das Fach EW den Boden für eine stärkere Betonung des Praxisbezugs und der Berufsorientierung am Stein-Gymnasium.

Warum ein Pädagogisches Praktikum?

  • weil die Arbeit im Fach  EW immer aus Fragestellungen des pädagogischen Handelns      entsteht und ihre Einsichten in die Praxis zurückführen müssen.
  • weil Praxis zur Verbesserung ihrer selbst die Theorie benötigt, andererseits die Theorie sich in der Praxis bewähren muß und sich dort gegebenenfalls auch korrigieren lassen muss.
  • weil die eine Woche in der konkreten pädagogischen Situation eine Ernstsituation ist, in der SchülerInnen sich als ganze Person außerhalb des schulischen Schonraums bewähren müssen.
  • weil Praxiserfahrungen und eigenes konkretes Tun das Selbstwertgefühl stärken, gerade auch für SchülerInnen mit Stärken, die in schulischen Unterrichtssituationen nicht so deutlich zur Geltung kommen.
  • weil es für manche SchülerInnen, wenn auch sicher nicht für alle, ein Test für die angedachte Berufswahl sein kann.

WIE, WANN UND WO?

Unsere SchülerInnen suchen sich anfangs der Stufe Q1 einen Platz bei einer passenden Einrichtung ihrer Wahl. Dies können Kindergärten, Grundschulen, sozialpädagogische Tageseinrichtungen, Behinderteneinrichtungen wie „Haus Freudenberg“, kinder- und jugendpsychiatrische Abteilungen im LKH, das Jugendamt oder Jugendheime sein. Im Allgemeinen werden sie freundlich aufgenommen und die Mitarbeit wird durchaus geschätzt.

Die Zeit des Praktikums ist normalerweise die Woche der Zeugnisse des 1. Halbjahres (Ende Januar), da dort die anfallenden Unterrichtsversäumnisse am ehesten verkraftbar erscheinen. In den meisten Fällen werden die PraktikantInnen vom Fachlehrer vor Ort besucht. Es muss ein schriftlicher Praktikumsbericht, manchmal thematisch eingegrenzt, verfasst werden, in dem die Erfahrungen reflektiert werden. Wenn irgendwie möglich, werden die Erkenntnisse einzelner SchülerInnen im Unterricht an passenden thematischen Stellen aufgegriffen.

Nach meiner Einschätzung genießt das „Pädapraktikum“ bei unseren SchülerInnen eine hohe Wertschätzung.

Zur Veranschaulichung der Eindrücke, die unsere SchülerInnen sammeln, im Folgenden einige teils ernste, teils amüsante Beispiele von Schülerkommentaren nach dem Praktikum. Hier eine Auswahl ihrer Antworten, befragt z.B. daraufhin,

a) ob sie nun Dinge anders sähen als vorher,

b) was für sie das schlimmste bzw.

c) das schönste Erlebnis war.

Zu a)

  • Die Kinder in den unteren Klassen sind viel frecher als wir früher.
  • Es gibt schon in der 1. Klasse riesige Unterschiede in der Entwicklung zwischen den Kindern.
  • Kinder sind nicht mehr so lernwillig und motiviert wie früher.
  • Lehrer sind auch nur Menschen.
  • Die Arbeit im KiGa wird unterschätzt. Die Erzieherinnen machen einen Riesenjob.
  • Kinderdorf-Kinder sind liebenswert und brauchen unbedingt unsere Zuwendung.
  • Es ist so schwer, Sanktionen gegen Kinder zu erteilen.

Zu b)

  • Als ein Kind mir sagte, die Mutter sei am Vortag gestorben.
  • Als ich zwischen zwei prügelnde Jungs musste und dies nicht viel nützte.
  • Als ich mich kaum gegen die Kinder durchsetzen konnte, die wie Kletten an mir hingen.
  • Als sich die Kinder von dem toten Wellensittich verabschieden mussten.
  • Als mich, zum erstenmal vor der Klasse, dreißig Augenpaare gleichzeitig anstarrten.
  • Als ich am Montagmorgen zum erstenmal allein in das Lehrerzimmer kam und alle mich anschauten.

Zu c)

  • Dass mich fast alle Kinder akzeptiert haben und mir Bilder gemalt haben.
  • Dass ich den Kindern versprechen musste, noch einmal wiederzukommen.
  • Kuchen, saulecker! Anhängliche Kinder und ein neuer Brieffreund.
  • Der Kindergeburtstag!
  • Dass ich eine ganz andere Perspektive in der Schule einnehmen konnte.
  • Dass ein ausländisches Mädchen, das bis dahin kein Wort gesprochen hatte, mich am letzten Tag fragte, ob ich wiederkäme.
  • Dass mich die anderen Kolleginnen so selbstverständlich akzeptiert haben.
  • Dass ich nach acht Jahren meinen alten Lehrer wieder traf.

Abschließend zitiere ich Hermann Nohl, Reformpädagoge zu Beginn des 20.Jahrhunderts, mit seinem heute noch aktuellen Satz: „Keine Kraft des Lebens entwickelt sich aus der bloßen Wortbelehrung, sondern immer nur durch die Tathandlung.“

Kurt Stynen,  im November 2012